top of page

Zwischen Verantwortung und Überforderung: Die Bedeutung von Supervision bei komplexen Fallkonstellationen in multiprofessionellen Hilfesystemen

  • Autorenbild: Özlem Tasel
    Özlem Tasel
  • vor 4 Tagen
  • 4 Min. Lesezeit

In meiner Arbeit als Supervisorin begleite ich Fachkräfte aus verschiedenen sozialen Arbeitsfeldern, die tagtäglich mit komplexen Lebenssituationen ihrer KlientInnen konfrontiert sind. Besonders in Fällen, in denen psychische Erkrankungen, Suchtproblematiken und familiäre Belastungen zusammentreffen, entstehen häufig Unsicherheiten: Wer ist zuständig? Wer trägt Verantwortung? Wer muss handeln? Supervision bietet hier einen geschützten Raum, um sich zu sortieren, Klarheit zu gewinnen und die professionelle Handlungsfähigkeit zu stärken. Vor diesem Hintergrund lassen Sie uns die Bedeutung von Zuständigkeitsklärung und Supervision in multiprofessionellen Hilfesystemen beleuchten.


Komplexe Lebenslagen erfordern multiprofessionelle Zusammenarbeit

Fachkräfte aus ganz unterschiedlichen Bereichen, etwa Suchtberatungsstellen, sozialpsychiatrische Dienste, Eingliederungshilfen, Wohnungslosenhilfen oder andere soziale Dienste, stehen immer wieder vor der Herausforderung, dass ihre KlientInnen mehrere Problemlagen gleichzeitig aufweisen. Zum Beispiel, wenn etwa wenn die Bewährungshelferin einen Klienten trifft, bei dem auch deutlich wird, dass Kinder im Haushalt leben, die möglicherweise Anzeichen einer Kindeswohlgefährdung zeigen. Hier stellt sich die Frage: Wer ist zuständig? Die Antwort liegt in einer klaren Aufgaben- und Rollenklärung, in diesem Fall wäre es Aufgabe der Fachkraft, das Jugendamt einzubeziehen, da der Schutz von Kindern gesetzlich geregelt ist und hier eine spezifische Zuständigkeit vorliegt. Diese vielschichtigen Situationen bringen unterschiedliche Aufträge, Arbeitslogiken und gesetzliche Grundlagen mit sich. Das führt in der Praxis nicht nur zu Überschneidungen und Lücken im Hilfesystem, sondern auch dazu, dass Fachkräfte Aufgaben übernehmen, die originär in den Verantwortungsbereich anderer Professionen fallen. In der Folge geraten sie nicht selten an ihre Belastungsgrenzen, können ihren eigenen fachlichen Auftrag nicht mehr vollumfänglich wahrnehmen oder sehen sich mit unnötigen Stresssituationen konfrontiert, die vermeidbar wären.


Vermeidung von Aufgaben-Diffusion

In der Praxis zeigt sich immer wieder, dass Fachkräfte Aufgaben übernehmen, die sie in schwierige Situationen bringen können. Oft geraten sie an einen Punkt, an dem sie merken, dass Themen auftauchen, für die eigentlich andere Fachkräfte zuständig und besser positioniert sind. In solchen Momenten fällt es nicht immer leicht, den eigenen Auftrag klar zu erkennen und bewusst zu entscheiden, welche weiteren AkteurInnen hinzugezogen werden sollten, damit die passende Hilfe an der richtigen Stelle ankommt. Dies kann zu Ressourcenverschwendung, Überforderung, Schwierigkeiten in der Koordination von Hilfeprozessen sowie zu Rollenkonflikten, inneren Spannungsfeldern oder Ziel- und Interessenkonflikten führen.


Handlungssicherheit durch klare Zuständigkeiten

Hilfepläne gibt es nicht nur in der Kinder- und Jugendhilfe, sondern auch in vielen anderen Arbeitsfeldern der sozialen Arbeit. Sie sind jedoch nicht immer verpflichtend geregelt und nicht überall strukturell verankert. Wo sie genutzt werden, können sie dazu beitragen, Maßnahmen zu koordinieren und Zuständigkeiten transparent zu machen. Gerade in komplexen Fallkonstellationen, in denen mehrere Institutionen und Professionen beteiligt sind, kann eine strukturierte Planung helfen, Verbindlichkeit zu schaffen und Doppelarbeit zu vermeiden.

Dabei ersetzen Hilfepläne nicht das fachliche Urteilsvermögen der beteiligten Fachkräfte. Vielmehr sind sie ein Werkzeug unter vielen, um Orientierung zu schaffen und Abläufe nachvollziehbar zu gestalten, sowohl für die beteiligten Professionen als auch für die KlientInnen selbst. Fachkräfte profitieren davon, wenn sie ihren eigenen Auftrag reflektieren, Aufgaben klar benennen und ihre Grenzen kennen, ohne die kooperative Zusammenarbeit aus dem Blick zu verlieren. Die bewusste Auseinandersetzung darüber, wo die eigene Verantwortung endet und wo andere Professionen gefragt sind, bildet die Grundlage für professionelles und sicheres Handeln.


Supervision als Reflexionsraum für Klarheit und Entlastung

Supervision ist ein wertvoller Reflexionsraum, in dem Fachkräfte ihre eigenen Grenzen erkennen, Rollenkonflikte besprechen und Hilfestrukturen reflektieren können. Besonders in Fällen, in denen Fachkräfte Gefahr laufen, Aufgaben anderer Professionen unbemerkt mit zu übernehmen, hilft Supervision dabei, die eigene professionelle Rolle zu stärken und Überforderung vorzubeugen. Fachlich anerkannte Empfehlungen, wie sie beispielsweise vom Landesjugendhilfeausschuss Nordrhein-Westfalen formuliert werden, betonen, dass Supervision essenziell ist, um die Qualität von Entscheidungen, die Klärung von Zuständigkeiten und die Sicherheit aller Beteiligten zu gewährleisten.¹


Supervision in verschiedenen Arbeitsfeldern

Nicht nur in der Kinder- und Jugendhilfe, sondern auch in der Erwachsenenhilfe und anderen Bereichen der sozialen Arbeit begegnen Fachkräfte zunehmend komplexen Lebenslagen. Suchterkrankungen, psychische Erkrankungen, Armut, Wohnungslosigkeit und soziale Isolation sind häufig miteinander verwoben. Hier sind unterschiedlichste AkteurInnen beteiligt, etwa Eingliederungshilfen nach SGB IX, Wohnungslosenhilfen, Suchthilfeeinrichtungen, sozialpsychiatrische Dienste, Jobcenter, Sozialämter, ambulante psychiatrische Pflegedienste oder gegebenenfalls Betreuungsgerichte und Bewährungshilfen. Im Gegensatz zur Kinder- und Jugendhilfe gibt es in vielen Bereichen nicht immer und überall verbindliche Hilfeplanverfahren oder klar geregelte Zuständigkeiten. Mancherorts bestehen sie durchaus, vielerorts jedoch fehlen sie oder werden nicht konsequent umgesetzt. Fachkräfte fühlen sich in solchen Fällen nicht nur alleine gelassen, sondern stehen häufig auch vor der Realität, dass viele der beteiligten Dienste überfordert sind und notwendige Kooperationen nicht oder nur eingeschränkt stattfinden können. Gerade in diesen Kontexten bietet Supervision einen wichtigen Raum, um sich über Zuständigkeiten klar zu werden, Verantwortung realistisch einzuordnen, Kooperationsmöglichkeiten auszuloten und eigene Belastungsgrenzen zu reflektieren.


Fazit

Komplexe Lebenslagen, in denen verschiedene Problemlagen gleichzeitig auftreten, erfordern Zusammenarbeit, klare Absprachen und eine bewusste Reflexion der eigenen Rolle. Nicht immer ist es für Fachkräfte leicht, in dynamischen Situationen den Überblick zu behalten und die eigene Zuständigkeit klar zu erkennen. Es gibt unterschiedliche Möglichkeiten, diesen Herausforderungen zu begegnen: Manche Themen lassen sich im Team oder in kollegialen Beratungen klären, andere erfordern zusätzliche Unterstützung. Supervision kann in solchen Fällen ein hilfreicher Rahmen sein, um Abstand zu gewinnen, die eigene Haltung zu reflektieren und neue Perspektiven auf komplexe Fälle zu entwickeln. Sie bietet die Chance, Rollen und Aufträge zu klären und den Blick für die nächsten sinnvollen Schritte zu schärfen. Dabei ersetzt Supervision nicht die alltägliche fachliche Abstimmung im Team, sondern ergänzt sie als ein Angebot zur Vertiefung und Stärkung der professionellen Handlungsfähigkeit.



Nützliche Links und Nachschlagewerke


 
 
 

Comments


bottom of page